Das Vogelhaus des Herrn Wenz

Das Vogelhaus des Herrn Wenz

Das Vogelhaus und Dieter WenzKürzlich an einem sonnigen Nachmittag treibt mich unser Hund, wie fast jeden Tag,  über die Maaraue. Mir fällt ein älterer Herr auf, der sich an einem der Tische an der Grillhütte mit ziemlich viel Holz beschäftigt. Ich bin etwas in Eile und laufe vorbei.

Heute – noch einmal ein für Oktober ungewöhnlich warmer Tag – ist er wieder da. Schon aus der Ferne nehme ich ihn wahr. Seine Gestalt ist eher klein und schmal. Er ist wieder mit dem Holz beschäftigt und wieder an demselben Tisch. Ich bin fast schon an ihm vorbei gelaufen, als mich meine Neugierde drängt ihn anzusprechen. „Ich habe Sie hier kürzlich schon gesehen, was bauen Sie denn da, was wird das?“ „Ein Vogelhaus wird es“, das kann ich jetzt aus der Nähe auch deutlich erkennen. Er baut es für seine Hausärztin Dr. Klaudia Müller Said in Kostheim. Er möchte sie damit beschenken.

Und dann entsteht ein Gespräch. Er erzählt von seinem Beruf als Dachdecker und dass er diese Holzschindeln, wie er sie hier am Vogelhaus à Miniatur verarbeitet, damals in Bischofsheim verbaut hat. Er habe auch bei Ernst Neger gearbeitet, dem singenden Dachdecker. Die Cheffin habe oft auch mal einen Zehnmarkschein springen lassen, für die Belegschaft, Cola-Cognac gab’s davon. Ein prima Chef sei der Neger gewesen. Zum Fassenachtszug sei die Belegschaft auf die Firmentribüne  eingeladen worden, Getränke frei, das sei über viele Jahre so gewesen, plaudert er. Und wie er als Junge auf der Maaraue gespielt habe und das Schwimmen lernte, dort wo der Kran einst stand und heute die Boote liegen, erinnert er sich an die lange vergangene Zeit. Er sei jetzt 75, habe sich zuletzt einer Krebsbehandlung unterziehen müssen, seinen Geschmacksinn dabei verloren und müsse sich seither mit „Astronautenkost“ ernähren.

Dieter Wenz, heißt er. Das Material fürs Vogelhaus sind Apfelsinenkisten. Er holt sie aus der Hechtsheimer Markthalle. Sie sind leicht beschädigt, würden weggeworfen. Seine Ärztin wird dem Vogelhaus einen Ehrenplatz in ihrem Garten zuweisen. Und ich habe ihm versprochen, dass ich über seine Arbeit berichten werde.

Nachtrag: Seine Ärztin sagte mir, dass er am Jahresende verstarb. R.I.P.